Brief an meine Angst

Angst, du begleitest mich schon mein Leben lang. Für eine lange Zeit schweigst du, aber wenn du dann deine Stimme erhebst, dann wirst du laut. Wie ein kleines Kind ducke ich mich weg und hoffe, von dir nicht gefunden zu werden. Leider findest du mich immer. Ich habe Angst vor dir und ich tue alles, um dich nicht besser kennenzulernen. Man sagt, du wärst ein Teil von mir. Das mag ich nicht glauben. Warum soll ich mich selbst so ängstigen?

Wenn du dich zeigst, dann geht es mir nicht gut. Dann verliere ich mein Lachen und meinen Lebensmut. Du liebst es, mir den Hals abzuschnüren und du legst dich bleiern in meinen Magen. Möchtest du, dass ich weine? Ich weigere mich. Alles, was du verlangst, lehne ich ab. Wir sind kein gutes Team. Ich habe dich nicht eingeladen und ich will dich nicht in meinem Haus. Ich hasse dich. Ich hasse jedes Gefühl, dass du in mir auslöst. Ich hasse die Hilflosigkeit, mit der ich dir ausgeliefert bin. Ich hasse die Stunden, in denen du mir auflauerst. Ich hasse deine stundenlangen Erzählungen, die gewaltigen Bildern, die du malst, die mich selbst in der Nacht quälen. Ich will wegrennen; wegrennen vor dir und deinem langen Atem. Was willst du mir sagen? Und will ich das hören? Geh doch einfach! Geh.

Angst, heute habe ich dich eingeladen und in meinen schönsten inneren Raum gebeten. Du standest vor mir, in all deiner Verletzlichkeit und Zartheit. Ich konnte nicht anders, als dich in den Arm zu nehmen. Friede kam mit dir; Trauer, Dankbarkeit und Verbundenheit. Wir haben zusammen geweint. Ich habe dir ein Bett bereitet, dir vorgelesen, deine Hand gehalten. Ich habe verstanden, dass du Zeit, Ruhe und Stille brauchst. Ich habe verstanden, dass du tatsächlich ein Teil von mir bist. Du bist meine Verwundbarkeit, meine Zartheit, mein Nichtwissen, meine Erschöpfung. Bleib, solange du bleiben musst. Ruh dich aus und komm zu Kräften. Ich gebe dir meine Zeit, meine Liebe und Zuversicht. Bleib.

Wollen wir auch deine Angst zum Bleiben einladen?

Für dein gelingendes Leben